Putenbrust unbezahlbar, Betriebe vor dem Aus: Die desaströsen Puten-Pläne der Bundesregierung

ZDG fordert den Landwirtschaftsminister auf, sich für EU-weit geltende Haltungsstandards einzusetzen

Weil es keine EU-einheitlichen Regeln für die Putenmast gibt, werden die Tiere von Land zu Land sehr unterschiedlich gehalten. Die freiwilligen Standards der deutschen Putenwirtschaft gehören zu den höchsten weltweit. Setzt die Bundesregierung im nationalen Alleingang noch strengere Auflagen, werden sowohl Verbraucher als auch Putenfleisch-Produzenten dies schmerzhaft zu spüren bekommen – und auch fürs Tierwohl wäre das verheerend.

Rund 1900 Mastbetriebe arbeiten in Deutschland täglich für die Versorgung der Bevölkerung mit einem wertvollen, verantwortungsvoll produzierten Lebensmittel: Putenfleisch. Dabei orientieren sie sich in der täglichen Praxis an einer Selbstverpflichtung zu Haltungsbedingungen, die sich die Branche – unter Beteiligung zahlreicher Experten aus Branche, Politik und Wissenschaft – bereits vor rund 10 Jahren gegeben hat: den sogenannten „Bundeseinheitlichen Eckwerten“.

Sie legen unter anderem fest, dass pro verfügbarem Quadratmeter Fläche nicht mehr als 52 Kilogramm (Hennen) beziehungsweise 58 Kilogramm (Hähne) sogenanntes Lebendgewicht gehalten werden dürfen. Außerdem definieren sie konkrete Anforderungen an Prozesse im Stall und die Qualifikationen der Halter (Putenhalterin Bettina Gräfin von Spee erläutert hier im Video, wie sie die Einführung der Eckwerte 2013 erlebt hat). Zusätzlich zu dieser Selbstverpflichtung gelten bei der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl (ITW) nochmals strengere Besatzdichten von 53 Kilogramm (Hähne) beziehungsweise 48 Kilogramm (Hennen) pro Quadratmeter.

Mit diesen Standards ist Deutschland anderen Ländern weit voraus: In Ungarn beispielsweise sind über 70 Kilogramm pro Quadratmeter erlaubt, in Polen sind es einheitlich 57 Kilogramm.

Eckpunkte-Papier der Bundesregierung

Trotz der bewährten Selbstverpflichtungen hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) Ende 2022 ein „Eckpunktepapier“ als Diskussionsgrundlage für nationale gesetzliche Haltungsstandards veröffentlicht. Es geht insbesondere bei den geplanten Besatzdichten weit über die bisherige Praxis heimischer Betriebe hinaus: Künftig dürften demnach nur noch 40 (Hähne) beziehungsweise 35 Kilogramm (Hennen) Lebendgewicht gehalten werden – das entspricht rechnerisch 1,9 Hähnen beziehungsweise 3,1 Hennen pro Quadratmeter. „Damit setzt die Politik aufs Spiel, was unsere Produzenten für Tierwohl und Nachhaltigkeit erreicht haben“, sagt Bettina Gräfin von Spee, Vorsitzende des Verbandes Deutscher Putenerzeuger (VDP) und Präsidiumsmitglied beim Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). „So wird die Versorgung der Bevölkerung mit einem hochwertigen Lebensmittel aus verantwortungsvoller heimischer Produktion gefährdet!“  

Berechnung der Landwirtschaftskammer: Dramatische Folgen für Verbraucher und Betriebe

Die Umsetzung der Pläne würde bedeuten, dass die deutschen Produzenten, die wegen ihrer hohen Haltungsstandards schon jetzt höhere Erzeugungskosten haben als ausländische Konkurrenten, im Wettbewerb gegen Billigimporte endgültig ins Aus gedrängt werden. „Sollte das Papier in eine Bundesverordnung münden, wird infolge der ökonomischen Kostennachteile die Putenfleischerzeugung aus Deutschland in andere EU-Länder abwandern“, heißt es in einer Folgenabschätzung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Letztere hat die ökonomischen Konsequenzen einer Umsetzung der Eckpunkte konkret berechnet: Demnach drohen einem durchschnittlich großen Betrieb rund 61.000 Euro Verlust pro Mastdurchgang bei Hähnen und rund 35.000 Euro Verlust bei Hennen (nähere Informationen finden Sie hier). Schon heute bleibt den Produzenten pro Mastdurchgang, der im Schnitt 18 Wochen dauert, nicht viel Ertrag: Bei Hähnen sind es durchschnittlich rund 4500 Euro, bei Hennen rund 560 Euro. „Ein solches Verlustgeschäft hält kein Betrieb lange durch – und von Investitionen in noch mehr Tierwohl kann dann erst recht keine Rede mehr sein“, sagt VDP-Vorsitzende von Spee. „Stattdessen landet auf deutschen Tellern noch mehr Putenfleisch ausländischer Billigimporteure, die häufig unter schlechteren Haltungsbedingungen produzieren.“ Deutschlands schärfste Wettbewerber sind derzeit Polen (max. Besatzdichte 57 Kilogramm), Italien (keine spezifischen Besatzdichten-Regelungen) und Spanien (keine spezifischen Besatzdichten-Regelungen).

Die Mehrkosten würden auch deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher zu spüren bekommen: Die Landwirtschaftskammer hat berechnet, dass der Preis für die beliebte Putenbrust um bis zu 2,40 Euro pro Kilo steigen würde. Und das, obwohl Putenfleisch, beispielsweise Schnitzel, laut Marktforschungsinstitut GfK mit einem Monatsdurchschnittspreis von fast 11 Euro pro Kilo (Stand Dezember 2022) seit längerem zu den hochpreisigen Fleischgerichten gehört.

Mit einer aufmerksamkeitsstarken Anzeigenkampagne im politischen Berlin hat der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), zu dem auch der Verband Deutscher Putenerzeuger (VDP) gehört, im April auf das Thema aufmerksam gemacht. Er forderte die Bundesregierung auf, sich statt des nationalen Alleingangs für EU-weite Standards in der Putenhaltung einzusetzen. Damit folgt er nicht zuletzt dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung: Über 80 Prozent der Deutschen sprechen sich in einer repräsentativen Umfrage für einheitliche Tierwohl-Standards in der EU aus.

Kein Wunder, denn nur fairer Wettbewerb gewährleistet eine zukunftsfeste heimische Produktion und die Versorgung Deutschlands mit verantwortungsvoll produziertem Geflügelfleisch. VDP-Vorsitzende von Spee: „Die Tierwohl-Verantwortung deutscher Politik endet nicht an unseren Landesgrenzen!“

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